Selten deutet ein Bandname derart genau die unter seinem Signum veröffentlichte Musik. Im Jahr 1922 schuf Paul Klee sein gleichnamiges Bild: Auf einer waagerechten, mit einer Kurbel versehenen Stange sitzen vier Vogelindividuen. Mit weit aufgerissenen Schnäbeln und gereckten Hälsen blicken sie in verschiedene Richtungen. Die Freiheit des Gesangs trifft auf die Disziplin der Mechanik.
Die „Zwitschermaschine“ des Altsaxofonisten Mark Weschenfelder vereinigt vier von einer Rhythmusgruppe angekurbelte Bläser. Die Musik ist so originell wie das Bild. Auf schön unorthodoxe Weise wird der Bandsound von zwei Flöten bestimmt, die neben, mit oder vor Saxofon, Posaune, Gitarre, Bass und Schlagzeug flirren, glitzern, zwitschern…
Weschenfelders Kompositionen sind von immenser Beweglichkeit. Das Kopieren amerikanischer Vorbilder liegt ihm ebenso fern wie das Kreieren simpler Startrampen für improvisatorische Selbstdarstellungen. Er liebt es kompakt, farbenreich und rasant. Überhaupt hält er das Prinzip Improvisation vital, ohne sich in der Bequemlichkeit einmal gefundener Muster zu genügen. Auch die frei improvisierte Musik hat ihre Klischees, doch Mark Weschenfelder umgeht sie. Seine Septettmusik besticht mit Drive und geheimnisvollen Klangarchitekturen, die sich beim Hörer einfräsen.
Weschenfelders Zwitschermaschine hat etwas Treibendes. Das meiste an dieser vertrackt eingängigen Musik ist notiert. Für ihre Entfaltung braucht dieser Melange aus Jazz, Progressivem Rock und Neuer Musik mit ihren Differentialtönen immense interpretatorische Genauigkeit. Doch bewahren die Stücke bei aller Disziplin Spontaneität und Frische. Viele kleine Reibeflächen sorgen dafür, dass diese Musik nichts Steriles hat. „System for Us“ bündelt sieben Individualisten in einem großen, kompakten und gemeinsamen Klang, kleine Solos inklusive. Anklänge an Steve Lehman, Henry Threadgill oder Steve Coleman scheinen auf, doch haben Weschenfelders Stücke nichts Epigonales. Der Titel mischt die Buchstaben der Komposition „Four Systems“ des Amerikaners Earle Brown anders und illustriert die Nähe zur Neuen Ernsten Musik. Doch bleiben Sinnlichkeit und Emotionalität des Jazz, wenn der Komponist hier Sprache vermittels des internationalen Morsealphabets auf Musik überträgt und Taktstrukturen aus kurzen und langen Morsetönen entstehen lässt. Das Resultat ist etwas verblüffend Neues, ist intensiv, druckvoll und nicht nur der originellen Instrumentierung wegen so innovativ. Diese Musik fasziniert, weil sie sich so wohltuend unverkopft und ungeschwätzig entfaltet.
Lineup:
mark weschenfelder – alto, klarinette, komposition paul berberich – flöte, alto vincent bababoutilabo – flöte, altflöte johannes lauer – posaune florian kästner – fender rhodes andris meinig – kontrabass florian lauer – schlagzeug jan-einar groh – modulare synthesizer
(Foto: Lukas Diller)